ANTON THIEL




Anton Thiel: DEKAPITATION • 99 Köpfe und eine Erinnerung

Ausstellung und Buch

Zur Vernissage führt der in Wien lebende Saxophonist Werner Zangerle seine für die Ausstellung komponierte Komposition „99K“ auf. Die CD des Auftragswerks wird dem Buch "DEKAPITATION" beigelegt.

Werner Zangerle: „Ein Kopf, ein Ton. Jeder Ton, jedes einzelne, einzigartige Klangereignis gilt jeweils einem Kopf. Die Komposition bedient sich sowohl serieller als auch aleatorischer Elemente und überlässt es dem Interpreten, improvisatorisch den Weg durch das organisierte Klangmaterial zu finden.“

Das Buch "DEKAPITATION" enthält neben der Abbildung aller 99 ausgestellten Tonköpfe eine tagebuchartige Auflistung der Recherchen zum Thema und zwei wissenschaftliche Texte (Dr. Helga Buchschartner, Kunsthistorikerin in Salzburg: „Entleibte Köpfe“; Dr. Willi Donner, Philosoph in Wien: „Gedanken zur Geschichte des Bösen“) und eine Teilübersetzung der Texte ins Englische und Serbische.

Erscheint im Verlag „Edition Tandem“, Salzburg und wurde durch die großzügige Unterstützung des „ZukunftsFonds“ der Republik Österreich und der Kulturabteilung des Landes Salzburg ermöglicht.

Die heikelsten und verwirrendsten Erinnerungen sind jene, die mit der Geschichte des eigenen Vaters zu tun haben. Sie verfolgen uns bis in jene Zeit, in der wir selbst zu Vätern geworden sind, nicht wissend, ob wir unsere eigene Geschichte oder jene unserer Vorfahren weiterreichen und in den Kindeskindern am Leben erhalten. Meist kennen wir dann den Ursprung dieser Geschichten nicht mehr und wir zählen sie zum allgemeinen und anonymen Narrativ einer ganzen Gruppe, losgelöst vom konkreten Ursprung. Manchmal gehen wir so weit, diesen Geschichten jegliche Realität abzusprechen und sie als Ausgeburt einer krankhaften Psyche oder irregeleiteten Fantasie zu deklarieren. Meist jedoch schweigen wir.  

Virulent wurde das Thema, von dem ich in meiner Ausstellung berichten möchte, erst im April 2016, als ich mit meiner Frau in Kambodscha die Gedenkstätten für die Opfer des Genozids an der kambodschanischen Bevölkerung durch die Roten Khmer besuchte (Tuol-Slang-Genozid-Museum/S21 in Phnom Penh und die Killing Fields von Choeung Ek am Rande der Stadt). Beim Hören des mittlerweile tadellos konzipierten Audioguides erinnerte ich mich plötzlich an eine Erzählung meines Vaters, der von fast identen Verhörmethoden aus seiner Zeit als Häftling in den Konzentrationslagern des kommunistischen Jugoslawiens (1945–1949) berichtete. Mein Vater Stefan Thiel (1908–1998) stammte aus der Vojvodina (Filipovo/Bački Gračac), war zwischen 1937 und 1945 in Vukovar als Religionslehrer beschäftigt. Er wurde bei der Übernahme der Stadt 1945 von den Partisanen verhaftet und ab Mai 1945 in verschiedenen Arbeitslagern festgehalten, wo er nur durch glückliche Zufälle überlebte. 1953 emigrierte er mit seiner Frau, die er in einem der Lager kennengelernt hatte, nach Österreich.  

Diese neu ins Bewusstsein getretene Erzählung und die Berichte der Medien aus Syrien über den Umgang des IS mit den Gefangenen (inszenierte Enthauptungen) hat mich dazu bewogen, eine Ausstellungen zum Thema „DEKAPITATION“ zu erarbeiten. Dafür habe ich die Geschichte meines Vaters herangezogen (der sonst kaum über seine Vergangenheit berichtete), wonach im August 1945 der spätere Außenminister von Jugoslawien als Kommandeur einer Partisanen-Division 300 Deutsche (Soldaten und Zivilisten, Männer und Frauen) bis zum Kopf in einen bosnischen Acker (Ort Doboj/Usora) habe eingraben lassen, die danach mit einer über die Köpfe hinwegfahrenden Egge getötet worden seien. Ich bin nach längerem Suchen auf einen Zeitungsartikel („Neuland“, Samstag, 11. Mai 1963) gestoßen, in dem dieses Ereignis ausführlich beschrieben steht. Allerdings ist dieser Artikel aus unterschiedlichen Gründen folgenlos geblieben und in Vergessenheit geraten. Zudem habe ich auch ein Foto jener Zuckerfabrik gefunden, aus dem Gefangene den geschilderten Vorgang beobachtet haben sollen. Diesbezügliche Anfragen bei serbisch-bosnischen Historikern sind bisher erfolglos geblieben.

So weit, so schrecklich. Interessant sind nun für mich die wiederkehrenden Bilder und Szenen, die weltweit sich immer neu generieren. Auch bei mir hat es über fünfzig Jahre gebraucht, dass ich mich dieser schrecklichen Szene stellen konnte. Ich will in diesem Zusammenhang überhaupt keine Schuldforschung betreiben, keine späte Wiedergutmachung erwirken und was sonst in diesem Zusammenhang alles noch in unseren Köpfen herumgeistert, sondern dem Schreckensbild Ort und Gestalt zuweisen und den in den Medien herumschwirrenden Enthauptungsberichten, die ja eine bedrohliche Nähe zur eigenen Welt gefunden haben (zuletzt die Enthauptung des französischen Priesters Jaques Hamel in der Normandie) in einen größeren Geschichtszusammenhang stellen. Im Gegensatz zu diesen gut dokumentierten Vorkommnissen ist jener Bericht meines Vaters nie verifiziert und von manchen Historikern als überflüssige Anschwärzung des Tito-Regimes abgetan worden. Andererseits haben die schwedischen Schriftsteller und einflussreiche Linksintellektuelle Jan Myrdal und Gunnar Bergstrom mit seiner Fehleinschätzung über die Vorkommnisse in Kambodscha zur Stützung des Pol-Pot-Regimes entscheidend beigetragen. Erst die langwierigen und mühseligen Recherchen 20 Jahre danach haben den Blick auf die Geschehnisse von damals geändert und nirgendwo in Kambodscha konnte ich das Gefühl von Rache oder Hass entdecken. Man spricht ausweichend von der „dunklen Zeit“. 

„DEKAPITATION“ ist letztendlich eine Arbeit über die Irrationalität des Bösen, welche die fast aussichtslose Position des guten Menschen im Fokus hat. Eine Arbeit, die unerschütterlich an das Gute glaubt, trotz der Dominanz des Negativen, dem überall mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als seinem Gegenteil.

Ausstellungskonzept

99 gebrannte Tonköpfe stehen frei und ohne Begrenzung auf dem historischen Marmorboden der spätmittelalterlichen Margarethenkapelle im Stift St. Peter/Salzburg. Die Köpfe bilden so eine lockere Gruppe ohne vordergründige Gestaltungsabsicht. Die Köpfe sind nicht als Individualportraits zu verstehen, sondern als tagesabhängige Imagination während des Modellierungsprozesses. Tageslosung: ein Kopf pro Tag.



formale
Methode
99 gebrannte Tonköpfe stehen frei und ohne Begrenzung auf dem historischen Marmorboden der spätmittelalterlichen Margarethenkapelle im Stift St. Peter/Salzburg. Die Köpfe bilden so eine lockere Gruppe ohne vordergründige Gestaltungsabsicht. Die Köpfe sind nicht als Individualportraits zu verstehen, sondern als tagesabhängige Imagination während des Modellierungsprozesses. Tageslosung: ein Kopf pro Tag.

geschichtlicher Hintergrund Donauschwaben in Jugoslawien (Batschka, Banat, Syrmien) 1945 zwischen Nazibesatzung und kommunistischer Machtübernahme

Anlass und Geschehen Die (angebliche) Hinrichtung von 300 Saldaten und Zivilisten in Doboj/Uschora, Bosnien, heute Rupublika Srbska. Dabei sollen laut Zeitungsbericht (zitierte Zeugenaussage von Ivan Boras) die Gefangenen bis zum Hals eingegraben worden sein. Danach habe man sie getötet, indem man mit einer Egge darübergefahren sei und ihnen die Köpfe abgerissen habe.

Zeitungsbericht "Neuland", Samstag, 11 Mai 1963

Stefan Thiel Schriftlicher Bericht seiner Verhaftung in Vukovar 1945. Ein Plädoyer gegen Gewalt und Kollektivschuld. Ein engagiertes Dokument für Humanismus und Völkerverständigung.

Bis der Arm müde wird. Eine Kulturgeschichte der Enthauptung. Übersetzung: Kemal Astare, Bearbeitung: Fatma Aydemir. Das Original erschien in der türkischen Onlinezeitung Radikal; TAZ Online
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A. Thiel • 2017