anton thiel



100 Pastelle aus der Serie GHANA 2012/13

Vernissage: Einladung der Stadt:SalzburgKULTUR
Katalog: Leporello mit 8 Abbildungen (DIN A5) > Pdf

Ausstellungstext Dr. Anton Gugg

Beim Verkauf der Bilder wird ein Teil des Reinerlöses Schulprojekten in Ghana zur Verfügung gestellt.

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Begleittext zu den Arbeiten (Anton Thiel)

Nach der ernüchternden Realität in Accra, der Hauptstadt Ghanas: Internationale Hotelketten, schmucke Villenviertel, ein mit chinesischem Geld sich erneuerndes Regierungsviertel und daneben die billigen Hütten der vom Land in die Großstadt strömende Bevölkerung, in der Hoffnung auf Arbeit und Unterkunft, qualmende Recyclingflächen mit Tonnen von Electronikschrott und Kindern dazwischen, die in der Hoffnung auf Edelmetall und brauchbare Einzelteilen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, und Heerscharen von Verkäuferinnen, die Billigstprodukte aus Asien an die im Verkehrschaos steckenden Pendler zu veräußern suchen. Angenehm doch auch, wenn sich die Fahrt in den Supermarkt erübrigt, da ja alles (Un-)Mögliche auf der Straße angeboten wird, Landkarten mit den Regionen und Distrikten Ghanas in knallenden Plastikfarben und als Tischtuch, Untersetzer, Kultteppich oder Fußabstreifer verwendbar, und dann die Yamswurzel, das Grundnahrungsmittel dieser Region, aus dem Fufu produziert wird, ohne dem gar nichts geht und ohne das der Ghanaer unglücklich ist. Oder Banku, der aus vergorenem Maniokmehl geformte und in Bananenblätter eingedrehte Teigkloß, elegant in einer mächtigen Schüssel aufgetürmt und auf dem Kopf getragen, zwischen den überfüllten Trotros (in Europa ausrangierte Toyotabusse, die den öffentlichen Verkehr gewährleisten), verbeulten Taxis und qualmenden Lastwagen hindurchbalanciert werden, dass es mir nur so die Sprache verschlägt: Woher stammt diese Eleganz, diese Anmut, diese Geduld jener jungen Mädchen, die für einen Hungerlohn von Tagesanbruch bis hinein in die späte Nacht ihre Arbeit verrichten?

Nach ebendiesen Großstadteindrücken im Pick-up in Richtung Eastern Region. Vorerst auf der einzigen Schnellstraße Ghanas, die in den Norden führt. Austauschbares Ambiente: Tankstellen, Autohändler, Fastfoodtempel, gesichtslose Glasbauten mit einer tragischen Vorliebe für klassizistische Portiken aus Stahlbeton und dazwischen einige sich verschämt hinter dichten Ölpalmen und knallroten Drachenbäumen belassene Hütten. Bald jedoch die Abzweigung nach Koforidua und weiter nach Asesewa. Der internationale Einheitsbrei schwindet und es stellt sich Afrika ein. Wir bitten unseren Freund, seinen Pick-up anzuhalten, und stehen auf einer staubigen Piste, deren rotes Band sich leicht schlängelnd zwischen den Hügeln der Mampongtin Range hindurchzieht. Es ist dieses Gefühl, das dich dein Leben lang nicht mehr verlässt, eine Stimmung, die einem in  die Glieder fährt und dich erschaudern lässt, obwohl es rund 40 Grad Celsius im Schatten hat. Das gleißende Licht einer Sonne, die sich durch den vom Harmattan (Nordwind, der Saharasand in den Süden verfrachtet) getrübte Atmosphäre kämpft, das satte Grün der alles überragenden Baumkronen und das Gelb der verdorrten Gräser, das Sirren der Insekten und dann? Ja, dann tritt das Unerwartete ein. „Obroni, Obroni“, tönt es von allen Seiten, und schon sind wir umringt von unzähligen Kindern, die aus den Büschen hervorstürmen. Obroni, das ist die Bezeichnung für Weiße in Ghana, nicht ganz klaren Ursprungs. Die sympatischte war jene aus der Sprache der Ga, in der angeblich der abgenagte Maiskolben und vor allem dessen Farbe auf den weißen Menschen übertragen wird. Man stelle sich vor: Eine Horde Kinder umringen in Salzburg einen Afrikaner und rufen: „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann? Und wenn er kommt? Dann laufen wir davon!“ Ein politisch inkorrektes Spiel aus meiner Kindheit.

Im Norden Ghanas, in Damongo, sollten wir zusammen mit den Lehrern der Presbytarian Secondary School gegen die Schülerfußballmannschaft antreten. Mittagszeit, baumloses Areal, also weit und breit kein Schatten. Die Schüler waren äußerst stolz, denn wir hatten der Mannschaft eine Ausrüstung aus Salzburg mitgebracht. Allerdings keine Schuhe. So war das Spiel von vornherein unfair: beschuhte Lehrer gegen barfuß spielende Schüler. Dies tat der Freude aber keinen Abbruch, alle Schüler waren angetreten, um die wohlersehnte Unterbrechung vom Unterricht auch gebührend zu feiern. Nur ein kleines Mädchen war sichtlich nicht glücklich. Es stand eingezwängt zwischen den blauen Kitteln der anderen Schülerinnen und weinte ganz bitterlich. Da ich im Tor, das ich hüten sollte, nicht allzu viel zu tun hatte, versuchte ich es zu trösten, was aber gar nicht gut ankam, da es sich jetzt noch mehr fürchtete. Was mir bei diesem Kind auffiel, waren die drei Schnitte auf beiden Wangen. Noch immer, so wurde mir später erzählt, versehen Väter (bisweilen auch Mütter) ihre Kinder mit den Stammesnarben, um sie deutlich sichtbar zu ihrem eigenen Clan zählen zu können. Diese traditionelle Skarifizierung (rituelles Branding) ist unter dem Einfluss des Christentums und der westlichen Welt deutlich zurückgegangen. Aber auch andere Praktiken (z. B. jener der weiblichen Verstümmelung, Hexenverfolgung, Verstoßung von Zwillingen) sind nicht ganz verschwunden. Spricht man dieses Thema an, dann weiß niemand etwas Genaues …

Als ich die Typografie des Schriftzugs GHANA entwarf, ergab es sich, dass ich den Querstrich des H verdreifachte. Erst später kam mir wieder das weinende Kind beim Fußballplatz in Damongo ins Bewusstsein.

Alle Pastellarbeiten aus der Serie GHANA sind erst in Salzburg entstanden. Keine einzige Arbeit ist ein unmittelbares Abbild einer Szene, einer Landschaft, eines Ortes. Die Pastelle verdichten vielmehr mit den intensiven Farben und den markanten schwarzen Linien den Eindruck, der von dieser Reise, von dem Land und seinen Menschen verblieben ist. Bei den ersten Bildern der Serie ist die unmittelbare Erinnerung noch dominant und konkrete Szenen überwiegen. Dann wandelt sich das Bildinteresse sehr schnell in Richtung Verdichtung allgemeiner Eindrücke und Empfindungen: Rhythmen, die in allen Bereichen der Wahrnehmung eine unverwechselbare Intensität hinterlassen hatten, werden farblich zu organischen und ornamentalen Verschlingungen verdichtet, Realitätsebenen vermischen sich mit fiktiven Gebilden, Kultgegenstände, Masken und beschwörende Ahnenfiguren treffen sich ganz selbstverständlich auf dem Dorfplatz mit arbeitenden oder träumenden Menschen, als wären alle Grenzen aufgehoben, alle Schranken gefallen, und alles, was sonst zuoberst ist, kommt zuunterst zu liegen. Taumelnd folgt die Bildlogik den verschlungenen Pfaden der Geister, die wuchernden Pflanzen verschlingen den Raum und brechen das Licht in die vibrierenden Zeichen, wie sie auch auf afrikanischen Textilien zu finden sind. Tatsächlich funktioniert der Entstehungsprozess der Bilder aus einer rhythmischen Bewegung der Hand, ja des ganzen Armes heraus, ohne ein bestimmtes Motiv im Kopf zu haben. Es ist  für mich jedes Mal wieder eine Überraschung, was sich unter dem verbliebenen Vibrieren der Erinnerung an Form und Farbe auf dem Papier  herausbildet.

Während das Konstruktionsgerüst der Zeichnungen aus der Serie „America, America“ (1987–1996) ganz den Bedingungen der Projektion und der filmischen Abfolge verpflichtet ist, also den Blick aus dem fahrenden Auto zitiert, ist das Auge des afrikanischen Urwaldes ganz entfesselte Bewegung.

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