Salzburger Modell prozesshafter Architekturvermittlung.
Unterrichtsprojekte des Arbeitskreises
Architektur & Schule
Ein Plädoyer für die Architektur als kulturelles Leitmedium.
(Wolfgang Richter)
Architektur und Raumordnung formen die individuelle und soziale Befindlichkeit des Menschen. Für die Wertigkeit qualitätvollen Bauens fehlt hingegen weitgehend ein ausgeprägtes Bewusstsein. Gute Architektur bedarf selbstbewusster Bauherrn. Das gilt für den öffentlichen Bereich ebenso wie für den privaten. Vielen Menschen mangelt es an Sicherheit in der Auswahl einer funktionalen Ästhetik und am Vertrauen in das Können von Architekten. Dazu kommen Angst vor öffentlicher Kritik, gepaart mit hilflosem Geschmack und der Unfähigkeit zu schöpferischer Gestaltung. Kompetenzen zur Bewertung von gebauter Umwelt sollten im Sinn der Lebensbedeutsamkeit zur Allgemeinbildung gehören.

Architektur in Schule und Ausbildung

Deshalb hat sich die Kammer der Architekten und Ingenieurskonsulenten in Salzburg im Frühjahr 1997 entschlossen, die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken und dazu den Arbeitskreis „Kultur & Schule“ gegründet. Das langfristig angelegte Konzept, das an der Basis der Schulbildung ansetzt, hat ein vertieftes Verständnis der Kultur des Bauens zum Ziel. Es baut auf einem Erlass des Unterrichtsministeriums zur Aktion „Der Architekt kommt an die Schule“ von 1988 auf. Mit Genehmigung des Landesschulrats für Salzburg hat der interdisziplinäre Arbeitskreis aus Architekten, Lehrern und anderen Fachleuten im April 1997 damit begonnen, Unterrichtsprojekte für verschiedene Schultypen zu erarbeiten. Mit Fortbildungsangeboten für Lehrer und Lehrveranstaltungen an der Hochschule leistet er einen Beitrag zur Professionalisierung der Kompetenzen von Studierenden und Lehrern. Über den Arbeitskreis können Lehrer Kontakte zur Zusammenarbeit mit interessierten Architekten knüpfen. Zur Abdeckung der Honorar- und Materialkosten hilft der Arbeitskreis, entsprechende Ressourcen zu erschließen. Eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit durch Ausstellungen, Veranstaltungen, Medienberichte trägt dazu bei, dieses Anliegen einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Durch die finanzielle Unterstützung der Architektenkammer in Salzburg, des Österreichischen Kulturservice, des Salzburger Vereins „Kultur und Schule“ sowie durch Sponsoren aus der Wirtschaft konnten bisher über 20 Unterrichtsprojekte (an Volksschulen, Gymnasien, der Hochschule Mozarteum, zudem außerschulische Jugendarbeit, Ausstellungen, Veranstaltungen für die Lehrerfortbildung) realisiert werden.

Der Erfolg und das Interesse von Architektur-Fachleuten, Lehrern, Schülern und Eltern führte zum Entschluss, die Erfahrungen dieses „Salzburger Modells“ in einer Dokumentation auch anderen Interessierten zugänglich zu machen – in der Hoffnung, dass dieses Pilotprojekt auch anderswo Schule macht.
Gleichzeitig verbinden wir damit ein bildungspolitisches Anliegen, das in einem Arbeitsgespräch im April 1998 von Architekten, Architekturhistorikern, Lehrern, Eltern, Schülern, Studenten, Sponsoren und Vertretern des Landesschulrates und des Pädagogischen Instituts zu einem Positionspapier mit einem Katalog dringlicher Forderungen formuliert wurde:

Architektur und Schule – ein Dringlichkeitskatalog

• Kreativität als zukünftige Schlüsselqualifikation für die Ausbildung und ganzheitliche Persönlichkeitsbildung soll sich in der Schule durch prozess- und projektorientierte Methoden fächerübergreifend wirksam entfalten können.
• Für die Finanzierung von kulturellen Projekten sollen auf verschiedenen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden, Schulen) gesicherte Budgetansätze vorgesehen werden.
• Mehr Budget für Architekturprojekte beim Österreichischen Kulturservice. Sensibilisierung der Wirtschaft für bildungspolitische Themen und Kultursponsoring durch Unterstützung durch das Unterrichtsministerium.
• Mehr Fortbildungsveranstaltungen und Workshops für Lehrer zum Thema Architektur.
• Verankerung von Architektur/Umweltgestaltung/ Design im Studienplan der Kunst-Universitäten für die Ausbildung der Kunst- und Werkerzieher.
• Vergabe eines Forschungsauftrags zur Entwicklung von Lehrbehelfen für die Architekturvermittlung und zur Evaluierung.
• Fächerübergreifende Projekte, bei denen Architektur zum Leitmedium wird (z.B. geblockte Workshops, Kreativwochen).
• Integration von Inhalten der bildenden Kunst in alle Schulentypen.
• Institutionalisierung und Finanzierung des bisher ehrenamtlich geführten Arbeitskreises als Service- und Koordinationsstelle.
• Ganzheitliche Ausbildung der Architekten. Neben der Vermittlung technischer Qualifikation sollen auch soziale und künstlerische Aspekte gebührend berücksichtigt werden.

Das Salzburger Modell

Die allgemein praktizierte Einladung externer Fachleute in die Schule nimmt in den Projekten des Arbeitskreises eine neue Qualität an. Im Vorfeld der Unterrichtsphase entwickeln Architekt und Lehrer gemeinsam ein Konzept, welches auf die spezifischen Eingangsvoraussetzungen abgestimmt wird. Unterschiedliche Sehweisen und Erfahrungshorizonte lassen diesen Prozess zu einer für beide Seiten lehrreichen Erfahrung werden. In den Sitzungen des Arbeitskreises stehen die (Zwischen-)Ergebnisse dann zur Diskussion.
Im Unterricht haben die Schüler zwei Betreuer zur Verfügung, die aus ihrer Berufspraxis mit unterschiedlichen Vorerfahrungen agieren, und die sich einander ergänzen. Diese Abwechslung verleiht dem Unterricht neue Impulse. Nicht nur die Schüler profitieren von diesem Pluralismus. Während sich den Architekten neue Sichtweisen auf Sachverhalte eröffnen und mit erfrischend unkonventionelle Ideen konfrontiert sind, gewinnen die Lehrer fachliche Einsichten in architektonische Denk- und Arbeitsprozesse. Die Erwartungen, die ein Professionist an den Arbeitseinsatz stellt, vermitteln den Schülern einen Einblick in die Berufswelt. Diese Kooperation bringt auch eine anschauliche Form der Berufsorientierung sowie eine wertvolle Bereicherung des Schulalltags ein.
Die Projekte entwickelten sich didaktisch in einem dreipoligen Spannungsfeld von Bereichen, die einander wechselseitig bedingen. Dieses Konzept weist Parallelen zu themenzentrierten didaktischen Modellen auf. Der Versuch, die individuelle Dimension (Selbsterfahrung, Selbstdarstellung), die sachliche Dimension (Raumerfahrung, Raumordnung, Materialerfahrung, Produktorientierung) und die soziale Dimension (Kooperation, Reflexion, Kommunikation, Präsentation) des jeweiligen Themas miteinander in Beziehung zu setzen, baut auf dem Fundament erziehungswissenschaftlicher Theorien auf.
Die prozess- und problemorientierte Methode zielt im Herangehen an komplexe Aufgabenstellungen auf die Entwicklung von Problemlösungsstrategien. Reflexion der praktischen Erfahrung, Skizzen und Präzisierung in sprachlichen Formulierungen sind die Mittel, um Inhalt und Form zu differenzieren und an konkreten Produkten anschaulich zu machen. Ihre Präsentation durch Broschüren, Ausstellungen, Aktionen im Rahmen der Schulgemeinschaft oder in der Öffentlichkeit hebt ganz im Sinn des Projektunterrichts die Grenze zwischen schulischem und außerschulischem Lernen auf. Um diese vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, bringen die Schüler fächerübergreifende Qualifikationen ein. Damit ist gemeint, dass bei einem Thema andere fachliche Aspekte mitgedacht werden, bedeutet aber auch, dass die SchülerInnen in der Schule vorhandene Resourcen nützen, indem sie beispielsweise bei anderen Lehrern Informationen einholen. Darüber hinaus bietet sich eine fächerverbindende Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern an.
Den einzelnen Projekten liegt ein methodisches Programm zugrunde, das sich an folgendem Verlauf orientiert:
Subjektive Erfahrungsweisen und persönliche Zugänge zum Thema Raum stehen am Anfang. Um Klischees von Architektur zu vermeiden, wird ein funktionalistischer Umgang vermieden. Im Eröffnen von anschaulichen Zugängen geht es zunächst um das Begreifen der Tatsache, dass Form von den Lebensbedürfnissen beeinflusst wird und symbolische Qualität besitzt. Den Zusammenhang von Raumwirkung und Möglichkeiten der Wahrnehmung zu erkennen, bedeutet zugleich, die wechselseitige Bedingtheit von Raum und Psyche als wesentliche Voraussetzung begreifen zu lernen. Die sinnliche Erfahrung von Materialqualitäten im Bauen von plastisch-räumlichen Modellen spielt dabei eine wichtige, stimulierende Rolle.
In der Folge werden die Gestaltungsaufgaben individuell oder in Gruppen mit ähnlichen Anliegen präzisiert und je nach Dauer des Projekts in verschiedenen Modellen bis zur beabsichtigen Endstufe weiterentwickelt. Skizzen, Übersetzungen in andere Medien wie z. B. Malerei, Fotografie eröffnen bei Bedarf neue Zugänge. Besprechungen und Vorstellrunden helfen, die eigenen Absichten auch anderen verständlich machen zu können. Die öffentliche Präsentation ist zugleich ein Heraustreten aus dem geschützten Raum der Schule und eine Bewährungsprobe gegenüber dem Publikum.
Das Spektrum der Aktivitäten reicht von Einheiten, die nur wenige Unterrichtsstunden umfassten bis zu Vorhaben, die sich über ein halbes Schuljahr erstreckten. Meist bildete die wöchentliche Doppelstunde den Rahmen, einige Themen wurden als geblockte Workshops oder bei Projekttagen realisiert.
Im einfachsten Fall genügten Bleistift oder Fotoapparat zur Arbeit. Beim Bauen von Modellen reicht die Spannweite von plastisch-räumlichen Skizzen bis zu maßstabsähnlichen Umsetzungen. Wenn es darum ging, den Plan an einem konkreten Ort zu realisieren, ging es wie auf einer Baustelle zu. Der Schritt vom Denken über das Planen zum gestaltenden Umsetzen zielt auf ganzheitliche Erfahrungen.

Die Beispiele
Im ersten Kapitel (Raum: Wahrnehmen) sind jene Beiträge zusammengefasst, die auf unterschiedliche Weise individuelle Wahrnehmungen und Erkundungen von Raum zum Inhalt haben: Welche Proportionen haben Bauten und Plätze der Altstadt? Welche Gestaltungswünsche haben Schüler für einen Ort im Schulgarten, an dem sie sich wohl fühlen? Wie können Raummodelle beschaffen sein, die persönliche Raumempfindungen mitteilen? Wie wirken Licht und Schatten als Gestaltungsmittel? Architektur, die mit ihrer Umgebung in einen Dialog tritt. Erproben von Grundprinzipien des Bauens in einfachen Modellen.
Im zweiten Kapitel (Raum: Gehen) liegt der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf den Benützern. Er tritt zu den gebauten Formen in Beziehung. Architektur wird hier begriffen als sozialer Raum, der Beziehungen ermöglicht, erschwert oder verhindert. Mobile Formen von Behausungen stellen Experimente mit dem Begriff des Architektur als erweiterte Leibeshülle dar.
Das dritte Kapitel (Raum: Beleben) handelt von Aktionen. Was geschieht, wenn eine Schule mit Stroh angefüllt wird? Eine Geschäftsstraße wird zum Spiegel der Bedürfnisse ihrer Anrainer. Temporäre Bauten, die täglich ihr Aussehen verändern, senden Impulse gegen erstarrte Altstadt-Strukturen aus.
Um Prozesse und Projekte geht es im vierten Kapitel (Raum: Entwickeln). Der Baustoff Lehm fordert zur Gestaltung heraus. Ideen zur Belebung eines Pausenhofs führen zu konkreten Vorschlägen. In einem gruppendynamischen Prozess wird Wohnraum als Lebensraum erprobt.
Im fünften Kapitel (Raum: Bauen) sind Ergebnisse zusammengefasst, bei denen das Ziel die bauliche Realisierung war. Prototypen von „Möbelarchitekturen“ zum Ausruhen und eine monumentale Lehmarchitektur wurden ausgeführt. Die Überdachung eines Pausenraums und der Umbau einer Schulaula fanden in der schulinternen Meinungsbildung keine Mehrheit und blieben – wie viele Beispiele aus der Architektur – Projekte. Die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen bei der Planung eines Kinder- und Jugendhauses ist im Stadium der Umsetzung.

Erfahrungen

Im Lauf der Arbeit an den Projekten entwickelten alle Beteiligten eine individuelle Vielfalt an methodischen und inhaltlichen Zugängen zum Thema Architektur. Die ersten Erfahrungen wurden in der Folge variiert und führten zu immer komplexer werdenden Vorhaben, die auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten waren. Manche Themen wurden unter anderen Eingangsvoraussetzungen modifiziert und erweitert. Die Ergebnisse sind keine Rezepte, die man direkt übernehmen kann. Sie sollen in erster Linie dazu anstiften, sich auf raumbezogene Gestaltungsprozesse einzulassen und aus diesen Anregungen eigene Ideen zu verwirklichen.
Dazu ist es jedoch auch notwendig, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Besonders beim Bau von Modellen hat sich der Zeitrahmen von einer Doppelstunde als sehr eng erwiesen. Das Blocken von Unterrichtseinheiten oder Projekt(halb)Tage ermöglichen effizientere und konzentriertere Arbeit, erfordern jedoch schulinterne Absprachen. Schließlich muss dafür Sorge getragen werden, dass (über diverse Budgets und Sponsoren) die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.
Deshalb bedarf der Dringlichkeitskatalog des Positionspapiers einer raschen Umsetzung, um die begonnenen Aktivitäten in dieser Intensität finanzieren und weiterführen zu können.

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